Die rettende Nase richtig führen

Neue Zürcher Zeitung vom 16.03.2015, Seite 16:

Die rettende Nase richtig führen

Lawinenhunde-Teams suchen an der Schweizer Meisterschaft nach «Verschütteten»

Wenn die Lawine Tourenfahrer verschüttet, ist ein Lawinenhund bei der Suche Gold wert. Die besten Teams haben am Wochenende im Engadin um den Titel gekämpft. Gewonnen hat Libero Taddei mit Hund Jarus.

Manuela Nyffenegger, Muottas Muragl

Es wird immer dunkler mit jeder Ladung Schnee, die vor das kleine Einstiegsloch geschaufelt wird. Am Schluss ist es unten ziemlich finster und eiskalt. Die Schreibende sitzt allein zwei Meter tief eingegraben in einem Schneeloch und wartet auf ihre «Rettung». Gedanken wandern in der Stille durch den Kopf – wie es wohl wäre in einem Ernstfall? Plötzlich ist ein Kratzen zu hören, es dringt etwas Licht nach unten. Dann wirbelt Schnee, und ein hellbraunes Etwas stürzt herein: Nanuk, der Labrador, ist da. Er begrüsst das «Opfer» stürmisch und will dann sein Futter als Belohnung. Die Demonstration der Übung für die Medien ist gelungen.

Teamwork ist alles

Wie eine solche «Rettung» vor sich geht, war an diesem Wochenende an der Schweizer Meisterschaft der Lawinenhunde auf Muottas Muragl im Engadinzu sehen. Veranstalterin war die Engadiner Sektion der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG). Die schweizweit besten 25 Teams – je eine Hundeführerin oder ein Hundeführer und ein Vierbeiner – traten in der Grob- und in der Feinsuche gegeneinander an. Beide Prüfungen dauerten maximal je 20 Minuten und forderten von Mensch und Tier körperliche und analytische Höchstleistungen – und vor allem ein glänzendes Teamwork.

Bei der Grobsuche sind auf einem 9000 Quadratmeter grossen Schneefeld zwei Personen in je einem Schneeloch vergraben. Diese zwei Figuranten gilt es zu finden, wobei der Hund durch Scharren den Fundort anzeigen soll, die Person jedoch nicht ausgraben muss. Bevor das Team aufbricht, schildert der Richter dem Kandidaten die fiktive Vorgeschichte zum «Lawinenunglück». Anhand dieser Angaben und der Topografie des Hanges muss sich der Teilnehmer eine Strategie überlegen, wie er das riesige Feld am effizientesten absuchen will.

Hundeführerin Bianca Röthlisberger war die Dritte am Start. Sie schickte ihre Labradorhündin Pintga den Hang hinauf und folgte auf den Tourenskis. Mit wenigen Kommandos lenkte sie den frei laufenden Hund hin und her übers Feld. Pintga war rasend schnell unterwegs, die Nase ständig am Boden und im Wind, und zeigte eine beeindruckende Energie und Kondition. Die Stelle des ersten Figuranten war bald gefunden. Doch nun wurde es schwierig. Je länger die Suche dauerte, desto mehr liess die Konzentration des Hundes nach. Immer häufiger schaute Pintga ratsuchend zu ihrer Führerin. Als die 20 anstrengenden Minuten um waren, erhielt das Team vom Richter Abzüge wegen der fehlenden zweiten Fundstelle, der langen Suchdauer und des nachlassenden Interesses des Hundes. Bianca Röthlisberger hatte in früheren Prüfungen gezeigt, dass sie und ihr Hund es besser können. «Es war einfach nicht unser Tag heute», meinte sie etwas enttäuscht. Da reichte auch eine gute Leistung bei der Feinsuche, wo Pintga ein 50 mal 50 Meter grosses Feld in engen Schlaufen nach einer vergrabenen Tasche absuchen musste, nicht mehr für einen Spitzenplatz aus.

Zeitintensiver Sport

Wer an der Schweizer Meisterschaft teilnahm, hatte schon Hunderte von Stunden mit seinem Hund trainiert.«Eine gute Kondition, Führigkeit, Arbeitswille und Lauffreude gehören beim Hund zu den entscheidenden Faktoren. Die Rasse spielt weniger eine Rolle, nur kälteresistent und nicht zu klein sollten die Tiere sein», erklärte Peter Rub, Präsident der SKG. Für Ruedi Krauer, der die technische Oberaufsicht des Wettkampfs innehatte, geht es neben der Lageanalyse im Wesentlichen um das Hundeverständnis des Teilnehmers: «Der Führer muss seinen Hund lesen können, muss wissen, was das Tier ihm mit seiner Körpersprache anzeigt.»

Die Teams zeigen, dass sie imstande wären, auch bei Ernstfällen nach Verschütteten zu suchen. Doch nur drei Teilnehmer sind auch bei Alpine Rettung Schweiz tätig. Voraussetzung dafür ist, im Berggebiet zu wohnen und jederzeit abkömmlich zu sein – eine hohe Hürde. So ist es für die meisten Teilnehmer «nur» ein Sport, auf beeindruckend hohem Niveau allerdings. Sechs Teilnehmer erreichten mehr als 280 von 300 möglichen Punkten. Neuer Schweizer Meister wurde Libero Taddei, vor Stefan Steiner und Werner Furrer.

Imposant war aber auch die Leistung der Figuranten. Anders als die Autorin wurden sie nicht nach ein paar Minuten aus dem Schneeloch befreit. Sie harrten für die Prüfung insgesamt acht Stunden im eiskalten Dunkel aus.